Freitag, 25. Juli 2014

Ein König auf nassen Füßen

Alle guten Dinge sind drei, am Mittwoch (23.7.2014) stand die dritte Bergetappe in neun Tagen auf dem Programm. Und jede Etappe führte über drei Cols oder Bergstraßen, also neun Cols an neun Tagen, und insgesamt mehr als 10.000 Höhenmeter, nicht schlecht. Und die dritte Bergetappe war nun die Königsetappe. Mit mehr als 4.000 Höhenmetern kondensierte sie die Gesamtanstiege der Styrkeproven auf weniger als ein Drittel der 540 km von Trondheim nach Oslo - nur mal so zum Vergleich.

Der erste Pass (Col de Larche) war ein Leichtgewicht: inklusive Anfahrt von Jausiers waren auf 24 km gerade mal 750 Höhenmeter zu überwinden, prima zum Einrollen. Das größte Problem: Zwischen dem Fuß der Passstraße und Meyronnes sind Radfahrer unerwünscht. Der Grund scheint mir ein gerade mal 300 m langes Stück Straße durch ein Bergsturzgebiet zu sein. Hier gibt es auch für Autos eine Ampelregelung, die die Durchfahrt im Zweifelsfall versperrt. Warum Motorradfahrer passieren können aber Radfahrer nicht, erschließt sich mir nicht. 

Blick vom Col de Larche Richtung Italien (CC BY-SA).

Obwohl der Larche ein Autopass ist, also ein Transitpass zwischen Frankreich und Italien, geht es an diesem Morgen ruhig zu, kaum Autos, noch weniger LKW, toll. Landschaftlich auch nicht so schlecht und ab Larche auch eine echte Bergstraße mit durchaus ansprechenden Steigungsprozenten. Nach 1:22 h bin ich auf der Passhöhe und begebe mich auf die 31 km lange Abfahrt nach Pratolungo. Fährt sich sehr angenehm. Nach insgesamt knapp 55 km biege ich rechts ab, Richtung Frankreich, Richtung Col de Lombarde. Hier gilt es doppelt so viele Höhenmeter wie am Larche zu überwinden bei gerade mal 21 km, ein klares Indiz für einen Giganten unter den Alpenpässen.

In mehreren Kehren schraubt sich die Straße auf 2 km die Felswand rauf, um in ein Hochtal zu gelangen. Dieses Tal geht es etwa 8 km hinauf, immer dem rauschenden Fluß folgend. Immer wieder sind auch ein paar Serpentinenstücke zur Abwechslung eingestreut. Nach dem nun folgenden 2 km langen Flachstück durch einen weiten Talkessel geht es wieder steil in einen Lärchenwald. Etwa 3 km nach Abzweig zum Santuario di Santa Anna lichtet sich der Wald und wenig später ist die Passhöhe schon zu sehen. In einem Wechsel aus Flachstücken und kurzen Steilstücken werden die letzten Höhenmeter überwunden, geschafft, exakt 2 Stunden. Ich bleibe dabei, ein absolut toller Pass, landschaftlich wie sportlich.

Blick vom Col de Lombarde zurück nach Italien (CC BY-SA).

Kurze Pause und dann gehts in die steile Abfahrt via Isola 2000. Ähnlich einfallslos wie der Name ist auch das Skigebiet selbst. Von all den Skigebieten die ich bisher gesehen habe (im Sommer) ist das glaube ich das hässlichste. Schnell weiter, aber die Straße bergab lässt das nicht wirklich zu. Ziemlich schlechte Straße, sehr steil, schwierig zu fahren. Aber berghoch möchte ich hier niemals nie fahren. Ist sicher eine Herausforderung, aber keine schöne. 

Ab Isola gibts nen Radweg nach St Etienne. Drei Kilometer vor dem Ort teilt sich die Straße, Radfahrer bleiben rechts am Fluß, Autofahrer geradeaus bergauf. Was nun, wohin gehts zum Col de la Bonette, dem dritten und letzten Pass des Tages. Ich folge der Autostraße, bergauf kann ja schonmal nicht schlecht sein. Nur geht es 2 km und 130 Höhenmeter später wieder runter, rein nach St. Etienne. Toll, hätt ich doch unten bleiben können. In St. Etienne tanke ich nach, wasch mich ein wenig und  dann beginnt der eigentlich Aufstieg zum Bonette. Nach 430 Höhenmetern auf 15 km zwischen Isola und St. Etienne folgen nun 1.700 Höhenmeter auf 24 km.

Seit Pratolungo haben sich Wolken über die Berge geschoben, genau zu dem Zeitpunkt als es in Jausiers anfing zu regnen, aber davon wusste ich nichts. Stattdessen hatte ich prima Wetter zum bergfahren, schön schattig. Das änderte sich am Bonette, leider. Die ersten Tropfen fielen als ich noch 20 km bis zur Passhöhe hatte, und ab 15 km vor dem Bonette öffneten sich die Schleusen des Himmels. Cats and dogs, ziemlich kräftig, was ist das, die Ausläufer eines Gewitters, ein Schauer, Dauerregen...noch habe ich 1,5 Stunden bis zum Pass, vielleicht hört es ja wieder auf. Stehenbleiben und warten bringt nicht viel, nass bin ich eh und solange ich fahre bleibe ich auch warm, also weiter. 

Fährt sich echt prima, der Bonette, gleichmäßige und angenehme Steigung. Durch die Höhe von 2802 m fährt man auch lange über der Baumgrenze und kann die Szenerie genießen, selbst bei dem Wetter. So langsam mache ich mir Gedanken über das weitere Programm, der Regen wird nicht weniger. Restaurants auf der Passhöhe gibt es nicht, nix zum Aufwärmen und Umziehen. Ich lege mir verschiedene Pläne zurecht, wie ich schnellstmöglich in trockene Klamotten und dann zurück nach Jausiers komme. Ich durchbreche die Wolken, für 2 km absolute Waschküche. Dann sehe ich wieder klarer, und helleren Himmel vom Ubayetal aufziehen, Hoffnung...



Camp des Fourches am Tag nach meinem Aufstieg (Überfahrt mit dem Auto) - bei deutlich besserem Wetter (CC BY-SA).
Blick zurück von oberhalb des Camp des Fourches auf ein paar Kilometer der Passstraße am Bonette (CC BY-SA).

Das Camp des Fourches ist nochmal ein echtes Highlight auf der Fahrt nach oben, wie ein Dorf, und die Straße geht mittendurch. Wäre ein Foto wert gewesen, aber nicht bei dem Wetter. Dann ist der Restefond erreicht, der eigentliche Passübergang ins Ubayetal. Nicht hoch genug für die höchste Straße Europas, weswegen man noch den Cime de la Bonette mit einer Straße umbaute, bis auf 2802 m Höhe. Meine größte Sorge war der Wind, kommt der auf wirds kritisch und ich muss sofort via Restefond runter. Es gab aber kaum Wind, und auch der Regen ließ nach und hörte schließlich auf. Also rum um den Cime de la Bonette. Nach 2,5 h seit St. Etienne und 200 m vor dem Gipfel stoppe ich und ziehe mich um. Man bin ich froh, dass ich einen halben Kleiderschrank spazierenfahre. Mit Taschentüchern reibe ich mich trocken und ziehe mich komplett um. Warm und trocken verpackt fahre ich die letzten 200 m auf den Gipfel zum Aufwärmen und stürze mich dann ins Tal. Tolle Abfahrt, selbst bei nasser Straße, und mit jedem Meter wirds wärmer. Ich bin ziemlich ziemlich erleichtert als ich schließlich am Fuß der Passstraße zu unserem Appartment einbiege. Nach einer warmen Dusche und leckerer Fischsuppe zum Abendessen geht es mir deutlich besser.


Gipfelstein am Cime de la Bonette, mit Blick zurück Richtung Mittelmeer, tief hängende Wolken in den Nebentälen, aber freie Sicht am Bonette. Viel höher gehts hier nicht mehr...(CC BY-SA).

Wahrlich königlich die Etappe. Knapp neun Stunden saß ich im Sattel. Die Berge fuhren sich aber prima, ging deutlich besser als noch vor einer guten Woche. Von den insgesamt neun Pässen waren immerhin fünf Newcomer dabei, Erstbesteigungen für mich. Und auch wenn das Wetter bescheiden war, der Bonette von Süden ist echt toll, macht Spaß. Hat sich gelohnt, das Rad mit in den Urlaub zu nehmen. Ein Dank an dieser Stelle an meine Familie, für die Unterstützung meiner Eskapaden. Das war jetzt aber die letzte lange Tour für dieses Jahr, genug der Langstreckenhighlights.

Montag, 21. Juli 2014

Le Tour de France et moi - Auge in Auge mit den Profis

Es war ein netter Zufall, und zum Zeitpunkt der Entscheidung für Urlaubsort und -zeit noch nicht bekannt: Zielort der 14. Etappe der Tour de France am 19.7.2014 war Risoul, gerade einmal einen Pass von unserem Urlaubsdomizil entfernt. Gute Gelegenheit, sich das weltweit größte jährliche Sportevent aus der Nähe anzuschauen. Logistisch war es dann aber doch etwas schwierig, zumal sich das Wetter verschlechtern sollte. Eigentlich wollte ich mit dem Rad auf den Col de Vars, runter nach Guillestre, weiter zum Col d'Izoard, und dann auf der Original Rennstrecke erst zurück nach Guillestre und dann hoch nach Risoul. Nach dem Ende des Rennes gegen 17:30 wollte ich dann wieder runter nach Guillestre und über den Col de Vars zurück nach Jausiers. Ziemlich heftiges Programm, 170 km, etwa 4,000 Höhenmeter und 4 Pässe, bis spät in den Abend hinein. Ich habe dann etwas eingespart und das Auto auf dem Vars geparkt, ein Pass weniger, 800 Höhenmeter weniger, und keine (mögliche) Regenabfahrt. 

Der Aufstieg zum Izoard von Guillestre beginnt gemächlich, etwa 15 km leicht bergan. V.a. der erste Teil ist landschaftlich spektakulär, enge Schlucht, überhängende Felsen. Der eigentliche Anstieg beginnt für mich etwa 2 km vor der Kreuzung mit der D947, ist von hier ziemlich genau 16 km lang. Fährt sich anfangs sehr schön, doch nach Arvieux wirds so langsam steiler. Ab kurz vor Brunissard sind das dann locker 8-9%. Die danach einsetzenden Serpentinen bringen ein bisschen Abwechslung, ohne dass es wirklich flacher wird. Drei Kilometer vor der Passhöhe sind dann fast kaum noch Höhenmeter da, toll - aber zu früh gefreut. Es geht rechts um die Kurve und bergab - in ein atemberaubendes Fels- und Gerölltheater, bis rüber zum Coppi-Bobet Gedenkstein. Bei derartiger Landschaft kann man sich ja kaum über die Zwischenabfahrt ärgern, muss dann aber die verlorenen Höhenmeter wieder nachholen. 


Felstheater kurz vor dem Gipfel des Izoard (CC BY-SA).
Die Bergwertung am Izoard steht schon, viele Wohnwägen auch, und mehr und mehr Radler treffen ein (CC BY-SA). 

Nach exakt 90 min sind die 16 km geschafft und ich bin oben. Auf der Passhöhe ist ordentlich was los, die Bergwertung ist schon eingerichtet, die Linie wird gerade gezogen, überall Wohnmobile, Polizei und natürlich Radfahrer en masse. Ein Snickers und ne Cola einwerfen, ein paar Fotos gemacht und zurück geht es nach Guillestre. Es lief gut bis hierher, und ich kann mir jetzt Zeit lassen, die Profis sind noch nichtmal gestartet, ich habe immer noch ordentlich Vorsprung. Zeit lassen auf der Abfahrt ist aber schwierig, v.a. auf den steilen Geraden zwischen Brunissard und Arvieux kann man es richtig krachen lassen. Mittlerweile ist das ne halbe Völkerwanderung, was da an Wanderern und Radlern den Berg hochkriecht.


Am Fuß des Anstiegs nach Risoul, die letzten gut 12 km bergauf für die Profis an dem Tag, für mich auf dem Rückweg auch der Fuß des Col de Vars, in meinem Rücken...(CC BY-SA).

Zurück in Guillestre ist erstmal Zwangspause angesagt. Eigentlich wollte ich zügig weiter, doch irgendwo auf der Straße nach Risoul ist ein Lieferwagen liegengeblieben, muss abtransportiert werden, keiner darf hoch. Netter Radlerstau am Fuß der Bergstraße. Zwanzig Minuten später wird die Straße wieder freigegeben, und von Radlern überflutet. Ich komme gut voran, das tolle an diesen Skistationszufahrten ist ein gleichmäßig steiles Profil, Alpe d'Huez machts vor. Einmal den Rhythmus gefunden, kann man gut durchfahren. Das Ziel rückt immer näher, ziemlich cool die TdF Kilometermarkierungen selbst zu durchfahren, um dann unter dem Teufelslappen kurz zu stoppen. Noch einen Kilometer zum genießen, denkste Puppe, 250 m vor dem Ziel stoppt ein Mann in grün alle Radfahrer. Es dauert einen Moment bis ich verstehe was los ist. Der Typ hat offensichtlich Order die Straße zu räumen, egal um welchen Preis, angeblich kommen die Teamfahrzeuge (Busse und LKW) gleich durch. Keiner darf auf der Straße zurückfahren ins Tal, wir müssen hinter der Absperrung talwärts, auch wenn man da gar nicht laufen kann, ist dem Typen völlig egal. Wer sich wehrt wird mit Gewalt hinter die Absperrung befördert, auf Räder wird kaum Rücksicht genommen. Ja haben die denn ne Meise, so ein Arschloch, sich so aufzuführen, was haben die dem denn gegeben, dass er so aggressiv zu Werke geht. Und dabei sind weit und breit keine Teambusse zu sehen, das große Heer der Busse kommt etwa 90 min später den Berg hinaufgeschnauft. Komplett bescheuert, Entschuldigung, meine Meinung. Mir fallen spontan mindestens zwei Alternativen ein, wie man dem Ansturm der Radler vernünftig hätte Herr werden können. Ist ja wohl keine Überraschung, dass hier Hobbyradler unterwegs sind, da kann man sich doch drauf vorbereiten. Das ist für die größte Radsportveranstaltung der Welt schlicht und ergreifend unwürdig, ganz mies organisiert! So komme ich also nicht in den Genuss des Zielbogens, stehle mich dann 200 m weiter talwärts wieder über die Absperrung, als mich der Gorilla nicht mehr sieht, und fahre ganz entspannt und ohne irgendwelche Störungen durch Teamfahrzeuge bergab.


Teufelslappen in Risoul, 1 km to go, doch das erlaubt man mir nicht...(CC BY-SA).

An einer Bushaltestelle etwa 4 km oberhalb Guillestre beziehe ich Quartier für die nächsten Stunden, weil ich erstens hier ein Dach über dem Kopf habe falls es wie erwartet regnen sollte, und weil zweitens nebendran eine gastronomische Einrichtung mit fester und flüssiger Nahrung wirbt, beides sehr willkommen. Von nun an heisst es warten. Die Werbekarawane vertreibt die Zeit, die Leute jagen die kleinen Geschenke und feiern die besten Marken, tolles Spektakel. Dann wartet alles mit Spannung auf die Profis. Nebendran läuft ein Computer mit Livestream, prima Service, so kann man gut abschätzen wann sie kommen, und in welcher Konstellation. Die Flugzeuge und Helikopter sind die ersten Vorboten. Dann kommt Rafal Majka von Tinkoff Bank - Saxo Bank mit 40 Sekunden Vorsprung durch, noch nie gehört von dem Kerl. Dahinter die jagende Meute mit Nibali. Danach immer wieder versprengte Fahrer und Kleingruppen, bevor das Gruppetto kommt, mit Kittel und Greipel. Gerade noch rechtzeitig, um im Livestream den Zieleinlauf zu sehen. Majka hat es tatsächlich geschafft, wohl sein erster Profisieg. Hätte ich nicht gedacht. Kleines Kuriosum am Rande: das letzte Profirennen, dass ich live an der Strecke verfolgt habe war das Amstel Gold Race 2013. Und mit Kreuziger hat damals wie heute ein Tinkoff Bank - Saxo Bank Profi gewonnen. Offensichtlich bringe ich den Jungs Glück.




Unter Ausschluss der Fernsehöffentlichkeit fährt das Gruppetto dem Ziel entgegen, angeführt von Kittel und Greipel, gefilmt mit meinem Handy von meinem Beobachtungsposten am Anstieg nach Risoul (CC BY-SA).

Die schönste Geschichte des Tages schrieben aber ein tasmanisches Ehepaar (beide >70 Jahre alt) und Richie Porte, seines Zeichens Radprofi beim Team Sky und nach dem Ausscheiden von Froome die letzte Hoffnung des Teams auf eine gute Gesamtplatzierung. Tags zuvor hat sich die Hoffnung zerschlagen und auch in Risoul kam er abgeschlagen ins Ziel. Die Tasmanier und Porte kannten sich und die beiden Radsportfans aus dem fernen Tasmanien feuerten Porte dementsprechend an, mit Fahne, mit persönlicher Ansprache an der Strecke. Porte quittierte dies mit einem Lächeln, was wiederum die Tasmanier, mit denen ich mir den Beobachtungsposten an der Bushaltestelle teilte, richtig glücklich gemacht hat. Irgendwie rührend, auf jeden Fall mein Bild des Tages, der lächelnde Porte und der strahlende Tasmanier...

Jetzt aber wieder aufs Rad und heimwärts. Der Regen hat sich verzogen, und trockenen Fußes erreiche ich die Talsohle. Hier beginnt gleich der Aufstieg zum Col de Vars, knapp 20 km und 1.200 Höhenmeter gilt es zu überwinden. Von der Abfahrt am Morgen kenne ich die Tücken und bin gut vorbereitet. Bis zur Hälfte ist alles sehr prima, steil, aber gleichmäßig, mit einigen Serpentinen. Ich komme gut in meinen Rhythmus, obwohl es noch sehr schwülwarm ist und die Fliegen mich umschwärmen. Die zweite Hälfte durch die vielen Ortsteile von Vars inklusive Skistation sind sehr unrhythmisch, immer wieder unterbrechen Flachstücke oder kurze Abfahrten die Bergfahrt, bäh. Es geht trotzdem erstaunlich gut voran, keine Rückenschmerzen, und langsam wirds auch angenehm kühl und der Gegenwind vertreibt die Fliegen. Nach 1:43 h ist es geschafft, ich bin oben und kann mein Rad nebst Fahrer in das bereitstehende Auto verladen. Mittlerweile ist es kurz vor acht, knapp 12 h sind seit der Abfahrt vergangen, Tribut an die Tour de France. Tolles Spektakel, tolle Unterhaltung, wenn nur die unprofessionelle Organisation für Hobbyradler im Zielbereich nicht wäre...

Mittwoch, 16. Juli 2014

Les Trois Cols - Leider steil

Urlaub 2014 - mal wieder Frankreich, mal wieder Alpen, wo könnte man besser hinfahren als ins Ubaye Tal. Wir landen in Jausiers, in einer Ferienwohnung direkt am Fuß des Col de la Bonette, direkt ums Eck eines Kletterparks und eines Sees - wie gemacht für einen Familienurlaub mit Radanschluss. Vor 16 Jahren war ich schonmal in der Gegend, und freute mich auf alte Bekannte, Passstraßen wohin das Auge blickt...

Kreuzung in Jausiers, hinter mir der Bonette, rechts Col de Vars, Col de Larche und Ste. Anne, links nach Barcelonnette - Ausgangspunkt der Trois Cols (CC BY-SA).

Nach drei Jahren ohne Alpen stand an diesem 15.7.2014 die erste Passfahrt an. Zum warm up habe ich mir die Trois Cols rausgesucht, vor 16 Jahren beim letzten Besuch ein Saisonhöhepunkt, heute der Auftakt. Um es gleich vorwegzunehmen: die Styrkeproven zu bestehen ist eine Sache, an einem Tag 140 km durch die Alpen zu radeln, garniert mit drei stattlichen Pässen, ist eine andere Sache, und nicht unbedingt leichter. Willkommen zurück auf dem Boden der Tatsachen.

Nach 12 km warmfahren erreiche ich den Fuß des Col d'Allos. Die offizielle Messung beginnt am Abzweig nach Pra Loup, der Kilometer vorher geht aber auch schon ordentlich bergauf, also 17,4 km Passfahrt. Die Schleife von Agneliers war mir in bester Erinnerung, die dem ohnehin spektakulären Allos das gewisse Etwas verleiht. Eine Straße als kleine Rinne in einer unbezwingbaren Felswand, und nach 6 km steiler Bergfahrt öffnet sich rechts das Tal Richtung Agneliers. Die Steigung geht jetzt etwas zurück, sodass man die Landschaft in vollen Zügen genießen kann, grandios. Leider trügt mich meine Erinnerung, der Scheitelpunkt der Schleife ist gerade mal auf etwa halber Strecke zur Passhöhe, ein weiter Weg nach oben. Mit letzten Blicken auf die Schleife gehts in den Wald bei zunehmender Steigung. Die ersten Serpentinen kommen, weiter oben kommen noch weitere Sepentinen, in jetzt baumfreier Umgebung. Dann ist es geschafft, Pass eins nach knapp 1,5 Stunden bezwungen. 

Die Abfahrt zieht sich, erst auf schlechter und sehr kurviger Strecke, dann auf breiter Piste durch Allos bis zum Ortseingang von Colmars. Hier gehts gleich links zum Col de Champs. So schnell kann man gar nicht runterschalten, doch das ist unbedingt erforderlich, gehts es doch gleich ziemlich steil los. Was vor 16 Jahren schon ein Feldweg war, ist heuer noch schlimmer, an manchen Stellen gibt es mehr Schlaglöcher als Straße. Runterfahren möchte ich hier nicht, zumal es meist durch Wald geht, schlecht für die Sicht, gut zum hochfahren, weil Schatten an einem so herrlichen Sommersonnentag durchaus angenehm ist. Gut 800 m Höhe sind auf etwa 11 km zu bezwingen. Und zum ersten Mal merke ich, dass das kein Zuckerschlecken wird, kein lockeres Warmfahren über drei Pässe - habe ich das wirklich angenommen? Natürlich nicht, aber was weiß man schon bevor man es gefahren ist.

Die Gipfelpassage nach 1:13 h Passfahrt ist merkwürdig, einen Kilometer vor der Passhöhe hört der Berg auf, und bis 1 km nach dem Pass fährt man über einen breiten Sattel. Dann gehts wieder runter, auf bestem Asphalt. Was für eine tolle Abfahrt, mit zwei Flachstücken zum lockern der Hände. Bremsen ist ziemlich anspruchsvoll für einen Flachlandtiroler. In St. Martin gönne ich mir eine kleine Pause, in einer kleinen Bar wird nachgetankt für die letzten 21 km bergauf zum Col de la Cayolle. Sechs Kilometer geht es gemächlich hoch, fährt sich angenehm. In Entraunes ist der Spaß dann vorbei. Im Ortszentrum verschwindet der Mittelstreifen, die Straße wird schmaler, und steiler. In der Prallsonne schraubt sie sich nach oben, und die zurückliegenden Bergkilometer machen sich bemerkbar. Außerdem machen sich all die Probleme die ich in Norwegen nicht hatte nun immer mehr bemerkbar: einschlafende Füße und schmerzende Lendenwirbelsäule. Ich muss vom Rad, kleine Gymnastikeinlage. Einen Kilometer später gleich nochmal, ein richtiger Einbruch, ich könnte mich grad ins Gras legen und ein Nickerchen machen. Anscheind ist mein Imbiss von St. Martin noch nicht ordnungsgemäß verarbeitet und energetisch erschlossen. Zwölf Kilometer bis zur Passhöhe, wie soll das noch gehen?


Die finalen Kehren  der Südrampe des Cayolle, ziemlich steil, ziemlich geil - Blick nach oben und zurück, man weiß gar nicht wo man zuerst hinschauen soll (CC BY-SA).

Aufgeben gilt nicht, obwohl es vom Kopf her fast schwerer fällt als die 540 km nach Oslo. Mühsam quäle ich mich nach oben, Meter für Meter. Neun Kilometer vor dem Gipfel der nächste Gymnastikstop, und 4 km weiter nochmal. Jetzt bin ich aber nicht mehr alleine, drei Leidensgenossen haben sich gefunden, die die letzten Serpentinen in Angriff nehmen. Was für ein Schlussakkord, 3 km, knapp 300 Höhenmeter, einige wenige Monsterserpentinen, die da oben in die Felsen gepflanzt wurden, Hammer. Dann oben, endlich, nach gut zwei Stunden, sämtliche Vorräte aufgebraucht. Einen  Eistee sammel ich nach 1 km Abfahrt ein, dann gehts die restlichen 30 km zu Tal, erst steil, dann weniger steil durch die Gorges du Bachelard, spektakulär. Die restlichen Kilometer zurück nach Jausiers nerven dann nur noch, ich hab' keinen Bock mehr. Außerdem treffe ich auf den 7 km wohl genausoviele Autos wie auf den 133 km zuvor, ätzend. 


Blick auf den Cayolle von Norden, rechts oberhalb der Refuge stehen ein paar Wohnmobile am Pass: statt Serpentinengewirr hier sanft geschwungene Almwiesen (CC BY-SA).

Was bleibt ist die Gewissheit, dass alpines Radeln furchtbar anstrengend ist, mal schaun ob das Konsequenzen für die weitere Planung hat - immerhin stehen noch zwei Touren auf dem Programm, alle anspruchsvoller als die Trois Cols (immerhin waren das 140 km und 3,340 Höhenmeter). Außerdem waren die Pässe doch (leider) steiler als ich das in Erinnerung hatte, v.a. Champs und Cayolle haben mir ganz schön zugesetzt. Klingt jetzt eher negativ, soll aber nicht sein, denn alpines Radeln ist leider immer noch ziemlich geil, verschiedene Klima- und Vegetationszonen zu durchfahren, grandiose Aussichten zu genießen, spektakuläre Straßenkonstruktionen zu bewundern und geologische Studien zu betreiben - Falten, Störungen, etc - richtig toll.

Donnerstag, 3. Juli 2014

Styrkeproven 2014 - 540 km und 4.589 Höhenmeter zwischen Trondheim und Oslo

Prolog
Was kann man sich hier für Titel für den Blog vorstellen: 'Pizza-Connection zwischen Trondheim und Oslo' war z.B. in der engeren Wahl. Letztendlich müssen die nackten Fakten für den Titel herhalten, die im Vorfeld der Veranstaltung für einiges Kopfzerbrechen gesorgt haben. Wie soll man sich dem Ganzen nähern? Ich habe keine Vergleichswerte. Die Gedanken kreisen in jeder freien Minute vor dem Rennen nur noch um Den Store Styrkeproven, wie das Rennen offiziell heisst. Doch alle Sorgen waren vollkommen unbegründet. Stattdessen bleibt ein Gefühl unglaublicher Zufriedenheit. Auch wenn ich mich manchmal immer noch kneifen muss, ob das alles wirklich passiert ist, und nicht am Ende der Nacht ein Wecker klingelt und einen aus den Träumen reisst...

Etappe 1 - Die Vorbereitung
Alles begann am Vorabend des 24h Rennens von Zandvoort: Anne liegt mit Lungenentzündung im Bett und ich muss Zandvoort absagen, schweren Herzens, und beginne gleich mit der Suche nach neuen Herausforderungen. So kann ich das Frühjahr nicht beenden, dass bisher so prima gelaufen ist. Die Rhön ist ausgebucht, die 24h am Nürburgring sind während unseres Urlaubs, La Marmotte ist auch ausgebucht. Aus Jux und Dollerei schau ich dann bei styrkeproven.no vorbei - das ist nicht ausgebucht, und man kann sich noch anmelden. Au weia, soll ich wirklich? Jörg ist schon seit Januar angemeldet, verlockend, da müsste ich nicht alleine fahren. Seit vielen Jahren spukt mir dieses Rennen im Kopf herum, die große Kraftprobe (den store styrkeproven) zur Mittsommernacht 540 km durch Norwegen zu radeln, Wetterkapriolen inklusive. Einmal im Leben will ich das unbedingt fahren, unbedingt....

Zwei 200er Trainingsrunden später und ermutigt von meiner lieben Frau melde ich mich an - gut drei Wochen vor dem Start, mit etwa 3.000 km auf dem Rennrad in den Beinen. Viel zu wenig, glaubt man den Berichten von anderen Sportskameraden, die das www im Angebot hat. Diese Berichte beschreiben das Leiden zwischen Trondheim und Oslo auch in durchaus sehr eindrucksvoller Weise. Ja habe ich denn vollkommen den Verstand verloren, spontan und kurzentschlossen ein solches Abenteuer in Angriff zu nehmen? Zur Absicherung buche ich noch eine große Hafenrundfahrt, einen Rundumcheck bei einem Sportmediziner in Leiden. Der attestiert mir eine gute bis sehr gute Leistungsfähigkeit, alles in Ordnung, das Abenteuer kann beginnen....doch so ganz glatt läuft es dann doch nicht. Meine Lymphknoten unter den Armen machen ein paar Probleme. Und zu allem Übel habe ich mir beim Fußballspielen mit Julia 7 Tage vor dem Start noch die Adduktoren überdehnt.

Neben der physischen Vorbereitung, die ich in der Kürze der Zeit kaum sinnvoll beeinflussen konnte stand die mentale und logistische Vorbereitung im Zentrum des Interesses. Irgendwie muss ich es schaffen, in den drei Wochen bis zum Start die 540 km mit allem Pipapo in meinen Kopf zu kriegen. Unvorstellbar nach einem schönen Radmarathon über 200 km das Ganze nochmal zu fahren und dann noch immer nicht im Ziel zu sein, irre. Und auch die Ausrüstung muss stimmen. Eine Rose Bikebox ist schnell ausgekuckt als Transportmittel der Wahl, hat sich doch Jörg dafür entschieden die An- und Abreise im Flieger zu verbringen. Nach Trondheim fliegen und von Oslo zurück, für schlappe 200 EUR, unschlagbar. Dazu nur zwei Nächte im Hotel, eine in Trondheim, eine in Oslo. Macht ein schönes verlängertes Wochenende mit einer schönen Radtour durch Halb-Norwegen.

Der Rest der Ausrüstung war etwas schwieriger zu planen. Wie fahren ohne Begleitfahrzeug von Trondheim nach Oslo, müssen sämtliche Ausrüstung für alle Unbilden des Wetters, sowie einiges an Verpflegung und Werkzeug und Ersatzteile selber tragen. Rucksäcke mag ich nicht, also muss was anderes her. Letztendlich fällt die Wahl auf eine Norica Carson Satteltasche, sehr geräumig und mit einem platzsparenden Klickfix Halter der an meinem Rad noch Platz findet. Dazu einen Topeak Fuel Tank fürs Oberrohr, fertig ist der Stauraum. Der Inhalt der Taschen ist weiter unten in der Übersicht zusammengefasst. Die Raddemontage stellt mich dann vor das nächste Problem: das linke Pedal will sich nicht lösen. Ein geschrottetes Multitool, einiges Blutvergießen und 40 EUR für neues Werkzeug später gibt das Pedal den Kampf auf und ich kann mein Rad in die Kiste verpacken. Es kann losgehen.....

Etappe 2 - Die Anreise
Das Wochenende in Den Haag verspricht ziemlich verregnet zu werden, für Norwegen sieht es besser aus, aber erstmal hinkommen. Im Regen laufe ich zur Tram, also wirklich laufen, damit die Kiste nicht schon vor dem Abflug durchweicht. Die Tram verpasse ich dann fast, weil sie auf der falschen Seite der Straße hält, Baustelle sei Dank. Am Bahnhof wartet schon Jörg, die Nervosität hat ihn noch eher aus den Federn getrieben. Einchecken in Schiphol ist etwas mühsam, und bei der Sicherheitskontrolle verliert Jörg seinen nagelneuen Gabelschlüssel für die Pedale, keine Gnade. Endlich sitzen wir im Flieger. Der Anflug an Trondheim ist vielversprechend, tolle Landschaft, spektakuläre Landebahn, mitten ins Meer gebaut. Man fühlt sich wie in einem Wasserflugzeug. Jörg vergisst dann seinen Rucksack im Flieger. Das geht ja gut los, Herausforderungen schon weit vor dem Start. Mit Organisationsgeschick und unterstützt von freundlichem Flughafenpersonal bekommt er seinen Rucksack zurück.

Der Zug nach Trondheim ist zwar nicht für Bikes gemacht, aber die Fahrt ist wunderschön, immer am Meer entlang bis nach Trondheim. Im Hotel werden zunächst die Räder zusammengebaut, klappt wunderbar, von kleineren Schnittwunden mal abgesehen. Dann holen wir die Startunterlagen und bringen in Erfahrung wo und wann der LKW fürs Gepäck zu erwarten ist. Wir machen dann noch ne Probefahrt mit den Rädern. Ich brauche noch Luft für die Reifen und wir wollen uns den Start mal anschauen. Gegen 18:00 soll der LKW am Start stehen und wir machen uns mit unseren Kisten und dem 'großen' Gepäck auf den Weg - und gewinnen prompt die erste Sonderwertung der diesjährigen Veranstaltung. Wir sind die ersten am LKW und unsere Kisten können sich einen Platz aussuchen.


Jörg als Easy Rider in der Munkegata in Trondheim, am Vorabend des Rennens. Im Hintergrund der Dom und der Startbereich für die Styrkeproven.

Pfahlbauten in Trondheim.


Danach folgen wir Jörgs guter Erfahrung mit Pizza vor dem Event, beehren einen Italiener, essen Pizza, trinken Erdinger (alkoholfrei) und essen Tiramisu. Das alles bei schönsten Wetter, Sonne satt. Die ist auch am nächsten Morgen wieder da, dazu angenehm warm. Ich entschließe mich im Sommer-Sonnenoutfit an den Start zu gehen. Die langen Klamotten bleiben in der Satteltasche. Um halb neun am Morgen des 28. Juni 2014 verlassen wir das Hotel und fahren Richtung Dom. Es ist angerichtet: eines der populärsten Radlangstreckenrennen erwartet uns, viele Fragen gilt es zu beantworten in den nächsten 24h.

Etappe 3 - Das Rennen
Neun Uhr zweiundzwanzig ist unsere Startzeit an diesem Samstag, und die haben wir einigermaßen exklusiv. Während andere Startblocks mit 50-70 Fahrern geflutet waren sind wir alleine, zwei Deutsche aus Holland genießen die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der 3 köpfigen Startcrew, und los gehts, raus aus der Stadt und auf die E6. Die wird hinter Trondheim zur Autobahn, sechsspurig, erster Berg, zu schnell angegangen. Auf der Abfahrt erholen wir uns und auch die E6 wird sympathischer zum Radfahren. Noch sind die Entfernungsangaben am Straßenrand alles andere als ermutigend, Oslo noch weit über 500 km entfernt.

Nach ner knappen Stunde tauchen die ersten Fahrer auf, von vorne und von hinten. Die erste Gruppenbildung ist möglich, um sich dem Gegenwind besser zur Wehr setzen zu können. In wechselnden Konstellationen geht's bis zum ersten Stop, der nur zum kurzen Auffüllen der Depots dient. Das Problem: als wir gerade weiter wollen kommt die erste richtig große Gruppe von hinten, mit einem Haufen Autos im Schlepptau, dauert etwas bis sich das wieder entspannt hat. Dieser erste Stop liegt auch schon mitten im langen Anstieg zum Dovrefjell. Auf 120 km sind etwa 1.100 Höhenmeter zu überwinden. Auf dem Weg nach Oppdal geraten wir ganz überraschend in einen belgischen Kreisel. Und die Norweger nehmen uns sogar mit. Spannende Erfahrung, aber auch sehr anstrengend, man muss sich irre konzentrieren und auch ordentlich in die Pedale treten. Später lassen wir sie wieder fahren. Lieber unser Tempo fahren und die Landschaft genießen.


Zweiter Stop kurz vor Oppdal. Hier machen wir etwas länger Pause, weil jetzt knapp 100 km ohne Stop folgen werden. Der lange Weg übers Dovrefjell beginnt.

Nach Oppdal beginnt der landschaftlich reizvollste Teil der Strecke. Das Fjell rückt immer näher, die schneebedeckten Berge begleiten unseren Weg. Wieder geraten wir in eine Gruppe Norweger die sich kreiselnd auf dem Weg zum Fjell machen. Wir bleiben dahinter und schauen uns das Treiben mit einer Radlänge Abstand an. Am ersten ernsthaften Anstieg nach Oppdal ist dann Belgien zu Ende und ohne kreiseln wird sich in gewohnter Norwegertaktik ganz langsam nach oben gearbeitet. Wir folgen dem Beispiel und behalten den Rhythmus auch dann bei, als die Gruppe einen Zwischenstop macht. Der Weg zum Fjell ist ein echter Genuss, phantastisch, hier fahren zu dürfen. Oben angekommen muss ein kurzer Fotostop sein. Jörg zieht sich was Warmes an, ich nicht, und bereue das ein paar Minuten später. Kalt pfeift der Wind mir um die Ohren. Ich gebe Gas, talwärts, ins Warme, oder doch anhalten und was anziehen, dann ist die Gruppe weg und Jörg auch, also weiter. Die Gruppe läuft gut und es wird auch wieder wärmer. Und dann kommen die letzten steilen Kilomter hinab nach Dombas. Ich lasse es laufen, alle anderen treten, ich nicht, und rolle allen davon. Tolles Rad!


Im Hintergrund ist der Eintritt aufs Dovrefjell zu sehen, wir sind oben, am höchsten Punkt der Strecke. Von nun an gehts in der Summe nur noch bergab, aber eben nur in der Summe...

In Dombas rollen wir um 17:30 über die Zeitmessmatte, mit besten Grüßen nach Hause, wo unsere Familien dank der App des Zeitnehmers ein erstes Lebenszeichen von uns aufs iPad geschickt bekommen, toll. In Dombas haben wir auch das erste große Teilstück absolviert, dass man als Dovrefjell-Etappe bezeichnen kann: Anfahrt zum Fjell, Überfahrt des Fjells und dann die Abfahrt. Im Dombas wartet auch eine leckere Suppe auf uns, und Jörg bekommt von seinem Innenleben signalisiert, dass 200 km radeln eigentlich genug sind. Aber Jörg läst sich nicht abhalten weiterzufahren. Wir begeben uns auf Teilstück Nummer 2, ein 150 km langes Überführungsstück bis zur Bob- und Rodelbahn von Lillehammer, 150 km mit zwei Zwischenstops. Zum Glück müssen wir nicht alleine fahren, haben v.a. nach dem Stop in Kvam eine schöne Gruppenkonstellation gefunden, die uns flott gegen den Wind voranbringt. Wenn es irgendwas am Wetter auszusetzen gäbe, dann dass der Wind die ersten 350 km meist von vorne kam. Ich werde einen Teufel tun mich darüber auch nur im Ansatz beschweren zu wollen, weil es nämlich nicht geregnet hat bis hierher, phantastisch. Und schnell sind wir, der Schnitt geht wieder über 27 km/h, wir fahren seit Stunden einen 30er Schnitt, Wahnsinn. Und mittlerweile bin ich auch in absolutes Neuland vorgestoßen: noch nie in meinem Leben saß ich mehr als 11 Stunden am Stück auf dem Rad. Die 11h Marke hatte ich vor 13 Jahren beim Ötzi fast erreicht, doch hier gehts auch danach fröhlich weiter.

Kurz vor Lillehammer verlassen wir die E6 und kurz vor der erwähnten Bob- und Rodelbahn beginnen einige in der Gruppe mächtig aufs Tempo zu drücken. Wollen die die Gruppe auseinanderfahren? Was soll das? 2-3 Zyklen mache ich das mit, dann signalisiere ich Jörg, dass ich das Spiel nicht mehr mitmachen will, zu spät. Der Anstieg zur Bobbahn läutet das dritte Teilstück ein und zeigt mir die Grenzen auf, der Mann mit dem Hammer kommt kurz vorbei, sagt freundlich "Hallo" und zwingt mich dazu abreißen zu lassen. Die Gruppe ist weg inkl. Jörg. Und so langsam wird es auch richtig dunkel, es geht auf Mitternacht zu. Zu Allem Übel kommt jetzt noch ein erster richtiger Müdigkeitsschub dazu. Jörg wartet auf mich und 'leiht' mir ein Gel. Das wirkt, die Leistung kommt wieder und langsam rollen wir wieder die Gruppe auf und schaffen es bis zur Kontrolle nach Biri. Es ist 1 Uhr, ich bin fix und fertig, es ist dunkel und kalt - und nass. Ja, ein bisschen regnet es. Kaum vorstellbar, dass ich nochmal aufs Rad steige, um die letzten 160 km nach Oslo in Angriff zu nehmen. Nudeln essen, einen Kakao trinken, sich dabei von Mücken malträtieren lassen, und dann das Feldbett-Angebot des Roten Kreuzes in Anspruch nehmen. Jörg schlägt einen 30 minütigen Powernap vor, ob das reicht...ich wechsel die Klamotten, wenigstens was trockenes am Körper haben. Ich döse vor mich hin und fühle mich nach der halben Stunde tatsächlich deutlich besser, richtig gut sogar.

In Biri sind wir schon 20 km mittendrin im letzten Teilstück des Rennens, 180 sehr hügelige Kilometer zwischen Lillehammer und Oslo. Auf nasser Straße rollen wir von Biri weiter, es geht wieder, unglaublich, die Müdigkeit ist weg, die Beine verrichten ihren Dienst wieder. Es wird auch langsam hell, was die Laune weiter steigen lässt. Fröhlich plaudernd machen wir uns bei kaum Verkehr auf den Weg nach Gjovik. Die Frequenz der Verpflegungsstellen nimmt jetzt zu. Alle 25-40 km kommt ein Zwischenstop. Nach Gjovik gehts in Richtung Totenvika, wo einer der letzten richtigen Berge auf uns wartet, war aber gar nicht so schlimm. In Totenvika ist es dann endlich soweit, es gibt Fischsuppe, aber nich für uns, brrrrr. Ein Sportskamerad sitzt wie eine Wachsfigur im Zelt des Roten Kreuzes, die Erschöpfung der Teilnehmer ist aller Orten spürbar. Bei mir kommt die Müdigkeit zurück und verlangt nach dem nächsten Koffeingel - das wirkt. Bei Jörg machen sich jetzt Motivationsprobleme bemerkbar, keine Lust mehr auf die letzten 100 km. Ich helfe so gut ich kann und wir nähern uns unaufhaltsam der norwegischen Hauptstadt. Auf dem letzten Abschnitt warten dann nochmal einige Berge, erst 4 Kuppen dicht hintereinander. Dann gehts zum letzten Mal auf die E6, eine Spur der Autobahn ist für uns reserviert. Bergauf rollen wir eine Gruppe nach der anderen auf. Die Zeitmessmatte liegt dann 2 km vor dem Ziel, 1-2 Hügel weiter gehts dann hoch zum Ziel. Es ist geschafft. Ich bin überwältigt, weiß nicht wohin mit meinen Gefühlen, mit Worten nicht zu beschreiben. Das alles in weniger als 20 Stunden reiner Fahrtzeit bei gesamt weniger als 24 Stunden. Wer hätte das gedacht, unfassbar...die Easy Riders am Ziel der Träume.


Die Easy Rider am Ziel ihrer Träume, wir haben es geschafft!!!



Sowas kann man nicht einfach wieder nullen: Distanz, Durschnittsgeschwindkeit und Fahrzeit der großen Kraftprobe 2014.


Offizielle Ergebnisse, mit allen Zwischenzeiten, Pausen inklusive.


Etappe 4 - Oslo und Abreise
Nach einem kleinen Imbiss am Ziel verpacken wir unsere Räder und fahren mit Taxi zum Hotel. Die Dusche tut richtig gut. Und dann gehts darum, den Tag zu überstehen ohne einzuschlafen. Wir gehen durch Oslo spazieren, und enden bei einem Italiener, wo wir die Pizza-Connection vervollständigen. Bei Pizza und Tiramisu und Bier (mit Alkohol) feiern wir den Erfolg. Die Schmerzen in den Beinen nehmen im Verlauf des Tages kräftig zu, Treppensteigen ist eine echte Herausforderung, Schuhe binden ebenso... Zurück im Hotel ist es noch immer nicht Abend, und so kommt was kommen muss, wir schlafen ein. Als wir wieder zu uns kommen, ist die erste Halbzeit zwischen Holland gegen Mexiko schon fast rum. Später werden wir wieder richtig wach und gehen noch in die Hotelbar zum Fußballschauen. Den ganzen Tag erzählen wir uns unseren Film des Rennens, wieder und wieder verarbeiten wir die Erlebnisse. Es ist soviel passiert...Bis auf meinen Mind-the-gap-faux-pas verläuft die Heimfahrt dann problemlos. Mit Rucksack auf dem Rücken und Bikebox in der Hand verpasse ich am Flughafen die Stufe und rutsche zwischen Zug und Bahnsteig, autsch.

Epilog
Die Take-Home-Message des Rennens ist eindeutig: Trondheim-Oslo braucht keine monatelange Spezialvorbereitung sondern ist auch kurzfristig machbar. Während viele schon im Winter buchen und sich mit Brevets auf die Distanz vorbereiten, habe ich nichts dergleichen gemacht. Eine weitere Message: man muss nicht bergfest sein. Die Berge in Norwegen zwischen Trondheim und Oslo haben mit den Bergen in Rhön, Ardennen oder Alpen nichts zu tun, verlangen eine andere Fahrweise, sind nicht zum Klettern gemacht. Slow and steady wins the race - geduldig und diszipliniert fahren, bergauf und bergab, nie in den roten Bereich gehen, nie zu kraftbetont fahren - das sind unsere Zutaten für eine erfolgreiche Langstreckenpremiere.

Noch ein paar Details zur körperlichen Befindlichkeit: Während ich im Trainingsalltag regelmäßig mit eingeschlafenen Füßen und Lendenwirbelproblemen zu kämpfen habe, war davon rein gar nichts zu spüren. Spannend auch der Fakt, dass der Puls irgendwann nicht mehr richtig nach oben zu schieben war. Selbst an Bergen mit Druck im Wiegetritt bin ich am Ende kaum über 150 Schläge gekommen. Im ausgeruhten Zustand wären das mal locker 170-180 Schläge gewesen. Ab 200 km wurde es immer schwieriger zu essen, Banane und Energieriegel gingen gar nicht mehr. Um überhaupt noch Energie zuzuführen, habe ich auf kalorienhaltige Getränke gesetzt. Das war zwar irgendwann richtig bäh, aber besser als essen allemal. Letztendlich haben sich die körperlichen Beschwerden im Hintergrund gehalten und bis auf die eine massive Krise zwischen Lillehammer und Biri gings mir richtig richtig gut, unglaublich bei der Strecke.

Man muss außerdem konstatieren, dass wir richtig Glück mit dem Wetter hatten. Bei 5°C weniger und Dauerregen wird das eine ganz andere Nummer, sicher noch um einiges schwerer. Und noch ein paar Worte zur Technik: keine Panne, keinen Unfall, nix, die Räder liefen prima von A bis Z, echt klasse.

Und die offiziellen Ergebnisse: Platz 951 von 1236 gewerteten Fahrern in 23:22:03 Stunden. Insgesamt sind knapp 100 Deutsche am Start, und wir im Mittelfeld der deutschen Starter. Der Sieger der Veranstaltung ist nach 13:27 Stunden mit nem 40er Schnnitt in Oslo angekommen, da waren wir gerade mal in Kvitfjell. Aber wir hatten dafür noch eine echte Mittsommernachtsfahrt, das hatte auf jeden Fall was, möchte ich auch nicht missen. Im abendlichen Mischlicht Richtung Lillehammer und am Morgen im Sonnenaufgang am Mjosa See entlangzufahren - unschlagbar.

Danksagung: Sich bei meiner Frau für die Lungenentzündung zu bedanken ist wohl ziemlich unpassend, ohne die wäre ich aber nie auf die Idee gekommen. Trotzdem gilt mein Dank meiner lieben Frau, die mich bei der Entscheidung pro-styrkeproven maßgeblich unterstützt hat. Was nicht selbstverständlich ist, sieht man den zeitlichen Aufwand in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung sowie den finanziellen Aufwand von etwa 1.000 EUR für Flüge, Hotels, Teilnahmegebühr und Ausrüstung. Die zweite entscheidende Person ist Jörg, ohne den ich erstens nicht gebucht hätte, zweitens so kurzfristig nie die Vorbereitung hätte stemmen können, drittens das Rennen nicht so entspannt überstanden hätte und viertens weit weniger Spaß an der Sache gehabt hätte. Tusen takk!!!

Organisation: Dafür gibts nur ein Wort - Wahnsinn. Sämtliche Kreisverkehre waren perfekt gesichert, freie Fahrt für Langstreckenradler, auch nachts, mit Leuchtstäben wurde der Weg gewiesen. Die Verpflegungsstellen waren super ausgerüstet, s.u. für das vielfältige Menü. Überall war auch das Rote Kreuz im Einsatz, und v.a. im zweiten Teil der Strecke mit Feldbetten und Wolldecken für Ruhesuchende ausgerüstet. Das Gepäck wurde sicher von A nach B gebracht und in einer Eishockeyhalle am Ziel aufgereiht, ganz toll. Und zur Krönung hat uns der vorletzte Kontrollposten kurz vor dem Ziel dann später noch ein Taxi organisiert, auf eigene Kosten. Das Taxi war dann tatsächlich groß genug, um uns mitsamt Gepäck und Bikeboxen ins Zentrum zu befördern. Dickes, dickes Lob!!!

Verpflegung on the road: 2 Energieriegel, 2 Proteinriegel, 3 (Koffein)Gels, 1 Banane, 2 Snelle Jelle

Verpflegung an 'Matstasjoner':
  • Soknedal Nord (65 km): 1 Banane
  • Oppdalsporten (107 km): Melone, 1 Käsebrot, Bouillon
  • Dombas (199 km): 2x 'Minestrone', 1 Banane
  • Kvam (264 km): 1 Nutellabrot, 2x Kuchen
  • Kvitfjelltunet (307 km): Gemüesuppe, 1 Nutellabrot
  • Biri (383 km): Bolognesenudeln, 2x Kakao
  • Gjovik (409 km): Tomatensuppe, 1 Nutellabrot
  • Totenvika (435 km): 1 Nutellabrot
  • Minnesund (472 km): Rhabarbersuppe
  • Klofta (510 km): Kuchen, Bouillon
  • Oslo (540 km): Hühnerbein mit Kartoffelsalat, Coke
  • dazu Isogetränke, Saftmischgetränke, Wasser in rauhen Mengen

Ausrüstung: 
  • Am Körper: Helm, Brille, Unterhemd, Trikot, Hose, Socken, Schuhe, Kurze Handschuhe, Pulsgurt, Pulsuhr
  • Trikottasche: Powerbar, Isobar, Powergel, Weste, Armlinge, Kopftuch
  • Satteltasche: Kopftuch, Unterhemd, Trikot, Hose, Socken, Kurze Handschuhe, Lange Handschuhe, Beinlinge, Regenhose, Überschuhe, Jacke, Fleecemütze, Rettungsdecke, Sitzcreme, Feuchttücher, Taschentücher, Klopapier, Isotabletten, Handy, Bargeld
  • KV Karte, Ausweis, Bankkarte, Kreditkarte
  • Oberrohrtasche: Multitool, Kabelbinder, Schloss, Schlauchreperaturset, Sicherheitsnadeln, Batterien, Leukoplast, 2 Schläuche
  • Rahmen: 2 Flaschen, Luftpumpe, Lampen, Schutzblech vorn, Computer